(PN) 31.10.2017 – Israelische Soldaten haben heute nordwestlich von Ramallah in der Westbank einen 26jährigen palästinensischen Autofahrer erschossen. Seine Schwester, die auf dem Beifahrersitz saß, wurde verletzt. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) spricht von „außergerichtlicher Exekution“.
Der Vorfall ereignet sich am Vormittag in der Nähe der illegalen Siedlung Halamish. Der 26jährige Muhammed Abdullah Moussa aus dem Dorf Deir Ballout, westlich von Salfit, war mit seiner 33jährigen Schwester Latifa auf dem Weg nach Ramallah, um eine Angelegenheit wegen seines Führerscheins zu regeln. Seine Schwester, eine Mutter von vier Töchtern und einem Sohn, wollte in Ramallah eine Schule für eine ihrer Töchter suchen.
Als das Fahrzeug auf der Straße nach Ramallah an einer Militärkontrolle vorbeifuhr, eröffneten die Soldaten das Feuer und schossen dem vorbeifahrenden Wagen hinterher. Die Schüsse durchschlugen die hintere Scheibe des Fahrzeugs und trafen das Geschwisterpaar. Nachdem der Wagen zum Stehen kam, fielen beide aus dem Auto und lagen verletzt am Boden. Herbeieilende Autofahrer kümmerten sich um die Verletzten. Insbesondere versuchte man, die schweren Blutungen von Moussa zu stoppen, was aber nicht gelang. In einem Video, das im Internet verbreitet wurde, sieht man Moussa sich unter Schmerzen krümmend am Boden liegen, während Helfer die blutende Wunde am Rücken in Nierenhöhe zu bedecken versuchen.
Nach Angaben der Organisation Roter Halbmond wurden die Sanitäter des Krankenwagens, der zum Ort des Vorfalls fuhr, von den Soldaten zunächst daran gehindert, dem schwer blutenden Verletzten zu helfen. Als sie endlich mit der Versorgung von Moussa beginnen konnten, war dieser aufgrund des Blutverlustes schon sehr geschwächt, wie ein weiteres Video im Internet zeigt (WARNUNG: verstörende Bilder). Trotzdem fragte er noch einen Sanitäter nach seiner Schwester und erhielt die Antwort, diese sei verletzt aber in Ordnung, er solle sich keine Sorgen machen. Der Sanitäter fragte ihn, woher er stamme, und dann, ob er an der Militärkontrolle vorbeigefahren sei, ohne zu halten, worauf Moussa mit schwacher Stimme „Ja“ antwortete.
Die Schwester Latifa war von den Kugeln in der Schulter getroffen worden und wurde mit dem Krankenwagen ins Istishari Krankenhaus nach Ramallah gebracht, wo sie zur Zeit versorgt wird. Moussa wurde ins Beilinson Israeli Hospital in Petah Tikva gebracht. Auf dem Weg dorthin verstarb er aufgrund des hohen Blutverlustes.
Israelische Armee macht widersprüchliche Erklärungen zum Ablauf
Zunächst hatte die Israelische Armee angegeben, die Soldaten hätten das Feuer auf das herannahende Fahrzeug eröffnet, da man einen Angriff befürchtete. Kurz darauf aber kursierten im Internet bereits Fotos des zerstörten Fahrzeugs, die zeigten, dass von hinten auf das Auto geschossen worden war, wobei die Rückscheibe komplett zerstört wurde.
Ein Abwehren eines frontalen Angriffs ließ sich daraus nicht herleiten. Die Armee änderte daraufhin ihre Erklärung und gab nun an, der Fahrer habe auf den Befehl zu halten nicht reagiert, deshalb habe man auf das wegfahrende Fahrzeug geschossen. Stunden später ließ das Büro der regionalen israelischen Ziviladministration verlauten, die Soldaten hätten augenscheinlich „versehentlich“ auf das Fahrzeug geschossen.
Das Palästinensische Außenministerium verurteilte den tödlichen Angriff scharf und sprach von „extralegaler Hinrichtung“. Auch die verzögerte medizinische Versorgung, die zu dem hohen Blutverlust und in der Folge dem Tod des 26jährigen führte, verurteilte das Ministerium. Das Geschwisterpaar hätte sich auf einer normalen Fahrt nach Ramallah befunden „und plötzlich wurden sie von israelischen Sicherheitskräften ohne Grund, und ohne für die Soldaten eine Gefahr darzustellen, beschossen“, heißt es in der Erklärung. Das Ministerium forderte, dass Israel sich für dieses „abscheuliche Verbrechen“ vor dem Internationalen Gerichtshof zu verantworten hätte, und verlangte von den Vereinten Nationen (UN), „das Verbrechen zu untersuchen und die verantwortlichen Mörder zur Rechenschaft zu ziehen“.
In der Vergangenheit kam es in unzähligen Fällen an israelischen Straßensperren und militärischen Kontrollpunkten zur Erschießung von Palästinensern, ohne dass diese für die Sicherheitskräfte eine Bedrohung dargestellt hatten. Menschenrechtsorganisation, wie die israelische Organisation B’Tselem, beschuldigten Israel deshalb, außergerichtliche Exekutionen durchzuführen, die gegen jedes Recht verstießen, und forderten vom israelischen Militär, die Schuldigen vor Gericht zu stellen. In den seltensten Fällen wurden die Verantwortlichen für Tötungen von palästinensischen Zivilisten belangt. Untersuchungen wurden entweder nicht eingeleitet oder ohne Konsequenz für die Todesschützen vom israelischen Militär eingestellt.
Kommentar
Jens M. Lucke
Wieder einmal wurde ein junger Palästinenser von israelischen Soldaten an einem militärischen Kontrollpunkt erschossen, ohne dass es für das Eröffnen des Feuers auf den Unbewaffneten die geringste Rechtfertigung gab. Und wieder einmal, wie so oft auch bei getöteten Jugendlichen, erfolgten die Schüsse in den Rücken, also zu einem Zeitpunkt, als sich der Beschossene von den Soldaten wegbewegte, insofern nachweislich keine Gefahr darstellte.
Nicht von ungefähr spricht die Palästinensische Autonomiebehörde in Übereinstimmung mit zahlreichen israelischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen von „extralegalen Hinrichtungen“, die sich in den letzten Monaten in erschreckendem Maße häufen. Dabei trifft es oft genug auch Teenager, denen beim Weglaufen von Kontrollpunkten von israelischen Soldaten in den Rücken geschossen wird. Und wie im Fall des sterbenden Muhammed Abdullah Moussa, behindert auch in solchen Fällen die Armee dann noch die Ärzte des Roten Halbmonds bei der Versorgung der Verletzten und nimmt damit billigend den Tod der beschossenen Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen in Kauf. Ein schwereres Verbrechen kann eine Besatzungsmacht nicht begehen.
Israel verstößt gegen Völkerrecht und begeht Kriegsverbrechen, wenn es wehrlose Menschen in den besetzten Gebieten willkürlich und ohne rechtfertigenden Grund erschießt und die Schuldigen dann nicht einmal zur Verantwortung zieht. Der Ruf der Palästinensischen Autonomiebehörde, diese Verbrechen vor den Internationalen Gerichtshof zu bringen, sind angesichts der nicht enden wollenden Tötungen von palästinensischen Zivilisten verständlich. Ebenso die Kritik an der schweigenden internationalen Gemeinschaft, die um diese Verbrechen weiß, aber den Mut nicht aufbringt, gegen Israel wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Wie viele Palästinenser darf Israel noch nach Belieben und ohne Grund töten, bis die Weltgemeinschaft aufsteht und sagt: „Es reicht!“? Und warum schweigt Deutschland zu derartig abscheulichen Verbrechen eines „guten Freundes“?
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