(PN) 15.01.2018 – In einem geheimen Papier hat der Nationale Sicherheitsrat Israels die Mitglieder der Knesset, des israelischen Parlaments, davor gewarnt, dass der Internationale Strafgerichtshof in diesem Jahr ein Ermittlungsverfahren gegen Israel wegen Kriegsverbrechen einleiten könnte. Dabei geht es um mögliche Verbrechen während des Gaza-Kriegs 2014 und mögliche Verbrechen gegen Palästinenser in der Westbank und in Ost-Jerusalem.

Bereits im Januar 2017 hatte die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, Fatou Bom Bensouda, eine vorläufige Untersuchung gegen Israel aufgrund von 98 Strafanzeigen im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg 2014 sowie Übergriffen gegen Palästinensern in der Westbank eingeleitet. Im Dezember 2017 veröffentlichte Bensouda ein vorläufiges Ergebnis der Untersuchungen.
Danach hatten die Ankläger am Internationalen Strafgerichtshof Tausende von Dokumenten gesichtet und ermittelt, dass im Gaza-Krieg durch israelische Angriffe über 2.000 Palästinenser, davon mehr als 1.000 Zivilisten, getötet und mehr als 11.000 Palästinenser verletzt wurden. Weiter hält der Bericht fest, dass über 500 palästinensische Kinder den Tod fanden und mehr als 3.000 palästinensische Kinder im Konflikt verletzt wurden. Insbesondere vermerkt der Bericht auch Vorwürfe, Israel habe gezielt zivile Ziele angegriffen, darunter Wohngebiete, medizinische Einrichtungen, Krankenwagen und medizinisches Personal sowie Schulen des UN Hilfswerks UNRWA, die als Notunterkünfte dienten.
Bezüglich der Westbank konzentrierte sich die Untersuchung auf die Errichtung illegaler Siedlungen, Landraub und Enteignung, sowie gezielte Anwerbung von illegalen Siedler zur Ansiedelung in den palästinensischen Gebieten. Der Bericht nennt für das Ende des Jahres 2016 allein 4.196 illegale Siedlungsbauten, die sich bereits im Bau befanden, sowie 2.884 neue Siedlungsbauten, mit deren Bau begonnen wurde. Darüber hinaus notiert der vorläufige Untersuchungsbericht der Chefanklägerin den Abriss palästinensischer Häuser und die Vertreibung von Palästinensern aus ihren Häusern in der Westbank und Ost-Jerusalem. Im Zeitraum August 2016 bis Ende September 2017 seien 734 palästinensische Gebäude beschlagnahmt oder abgerissen worden, bei 180 davon handelte es sich um Wohnhäuser, von denen 48 in Ost-Jerusalem standen. In der Folge seien 1.029 Palästinenser, darunter 493 Frauen und 529 Kinder obdachlos geworden.
Ergänzend erwähnt der Untersuchungsbericht auch Vorwürfe gegen Israel wegen systematischer Diskriminierung von Palästinensern, durch die ihnen fundamentale Menschenrechte vorenthalten wurden. Im Bericht heißt es obendrein, dass die Untersuchungen auch auf Vorwürfe über den Untersuchungszeitraum hinaus, also nach 2015, ausgedehnt werden könnten.
Ein leitendes Mitglied des israelischen Nationalen Sicherheitsrats, Oberst Amit Aviram, ließ in diesem Zusammenhang vergangene Woche Mitgliedern der Knesset eine geheime Präsentation zukommen mit dem Titel „Strategische Einschätzungen für 2018“. Das berichtete der israelische Fernsehsender Kanal 10. Bezüglich zu befürchtender Sicherheitsrisiken warnte Aviram in der Präsentation die israelischen Parlamentarier davor, dass die Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof irgendwann in diesem Jahr von der Voruntersuchung in die Eröffnung eines offiziellen Strafermittlungsverfahrens gegen Israel wegen des Gaza-Kriegs 2014 und der Siedlungsbauten in der Westbank wechseln könnte.
Gleichzeitig warnte er vor dem Hintergrund fehlender Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern davor, dass mit zunehmenden Boykottaufrufen gegen Israel gerechnet werden müsse.