(PN) 18.03.2018 – Abdallah Frangi war Jahrzehnte lang der offizielle Vertreter der PLO in Deutschland und von 1993 bis 2005 Generaldelegierter der Palästinensischen Autonomiebehörde. Heute ist er im Ministerrang Berater des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas.
Im Rahmen einer Friedenstour kam Abdallah Frangi in diesen Tagen auf Einladung der Deutsch-Palästinensischen-Gesellschaft Bremen und weiterer Friedensgruppen in die Hansestadt Bremen und hielt dort im renommierten Überseemuseum einen Vortrag. Am Nachmittag vor dem Auftritt gab er den PALÄSTINA NACHRICHTEN ein Exklusivinterview.

PN: Herr Frangi, Sie sind Preisträger des Osnabrücker Friedenspreises. Sie sind jetzt auf einer Friedenstour. Vor dem Hintergrund dessen, was Amerika bezüglich Jerusalem entschieden hat, wie realistisch ist momentan ein Frieden aus Ihrer Sicht?
Abdallah Frangi: Es gibt kein Gebiet auf dieser Erde, das ständig im Krieg lebt. Und logischerweise kann auch Israel nicht weiterhin noch lange in diesem Zustand des Krieges leben und die Palästinenser auch nicht. Ich bin davon überzeugt, dass wir heute oder morgen oder später einmal, egal wie lange es dauern wird, Frieden haben werden. Und die Voraussetzung für den Frieden ist, dass wir die Zwei-Staaten-Lösung durchsetzen. Israel blockiert die Bildung eines palästinensischen Staates, und deswegen versuchen wir überall in der Welt, Unterstützung zu bekommen, damit der Druck auf Israel so groß wird, dass Israel gezwungen ist, zu akzeptieren. Die Zwei-Staaten-Lösung ist die einzige Möglichkeit für einen Frieden, auch für die Israelis. Und deswegen bin ich der Meinung, dass wir in dieser Richtung unsere Kräfte einsetzen müssen, und wir werden uns nicht davon beeindrucken lassen, dass wir es bis zum heutigen Tag nicht geschafft haben. Die Hoffnung müssen wir weiterhin behalten, und wir müssen auch weiterhin der Überzeugung sein, dass die Chance für einen Frieden in dieser Region noch nicht verspielt ist.
Nun hat ja der amerikanische Präsident Trump, als er Herrn Netanyahu gerade in Washington empfing, erklärt, wenn die Palästinenser nicht an den Tisch zurückkehren, kann es keinen Frieden geben. Wie groß ist denn die Chance, dass die Palästinenser an den Tisch zurückkehren? Und was passiert, wenn die USA tatsächlich wahrmachen, was sie ankündigen, dass sie im Mai ihre Botschaft auch wirklich tatsächlich nach Jerusalem verlegen werden?
Ich bin davon überzeugt, dass die USA die Botschaft verlegen werden. Aber die USA sind nicht mehr die Supermacht Nr. 1, die USA verlieren jetzt in vielen Konflikten und konnten dort keine Rolle mehr spielen. China wird groß und mächtig. Russland wird auch mächtiger. Und die Weltmächte werden sich ihre Politik nicht mehr diktieren lassen von den USA. Das heißt, auch wenn die USA heute hundertprozentig gegen uns und gegen die Bildung eines Staates Palästina sind, sie werden es nicht mehr verhindern können. Wir haben unsere Politik, wir haben unsere Freunde, wir haben Kontakte überall in der Welt, und die Zahl der Staaten, die uns unterstützen, ist viel größer als die Zahl der Staaten, die Israel anerkannt haben. Ebenso ist die Zahl der Menschen auf der Welt, die heute auf unserer Seite stehen, größer. Und wichtig ist die Zahl der Palästinenser heute – 12 Millionen. Israel kann die 12 Millionen nicht einfach beseitigen und ausklammern, und auch die USA können nicht Israel für ewig in dieser Politik unterstützen.
Herr Trump hat das noch nicht so ganz mitbekommen, denn er sagte praktisch, die überwältigende Mehrheit der Welt wäre auf seiner Seite, was Jerusalem angeht. Was ja nicht so ganz das widerspiegelt, was die UN entschieden hat.
Er hat gesagt, alle amerikanischen Präsidenten waren feige, dass sie das nicht anerkannt haben. Und er bezieht sich auf seine amerikanischen Vorgänger. Er weiß ganz genau, dass Präsident Abbas direkt nach seiner Jerusalem-Erklärung seinen Stellvertreter nicht empfangen hat, als der zu uns kam. Präsident Abbas hat auch mit Unterstützung der restlichen Staaten diese Haltung der USA abgelehnt. Im Weltsicherheitsrat wurde die Haltung der USA abgelehnt. In allen Sitzungen, die stattgefunden haben, standen die USA mit ihrer Haltung immer allein. Das heißt, es gibt eine neue Entwicklung in dieser Region. Der amerikanische Präsident kann so viel sagen, wie er will. Er ist Analphabet in der Politik. Er ist unerfahren, und er wird mit dieser Politik nicht einmal den USA dienlich sein.
Auf der einen Seite ist es verheerend, was in Amerika für Entscheidungen fallen, auf der anderen Seite ist es spannend, wie Europa sich ja auf diese Weise, unabhängig vom Palästina-Konflikt, aufstellen muss. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat kürzlich in Brüssel sehr deutliche Worte gefunden, was sich Herr Netanyahu alles vorstellen könne, aber die Europäische Union werde da nicht mitspielen. Nachdem sich das in Amerika jetzt so verändert hat, und Sie sagen, die Kräfte verschieben sich dort – ist Europa jetzt ein wichtigerer Partner für Palästina?
Europa hat mehr Beziehung zum Nahen Osten als die Amerikaner. Die Amerikaner sind eine neue Macht. In der Geschichte, wie lange existieren die USA, seit wie vielen Jahren? Verglichen mit der restlichen Welt, Europa und mit uns, sind die USA noch jung in der Geschichte der Welt. Das heißt, die Amerikaner müssen Rücksicht nehmen auf die, die betroffen sind. Und die Europäer sind betroffen von dem Zustand, dass wir keinen Frieden haben. Sie werden deshalb zwangsläufig auch dafür arbeiten, Frieden zu erreichen. Die Position der Europäer, aller europäischen Staaten ohne Ausnahme, ist eine Befürwortung der Zwei-Staaten-Lösung. Das heißt, sie sind für die Gründung eines palästinensischen Staates. Sie sind auch gegen die Siedlungspolitik. Und sie betrachten das als illegal und illegitim. In diesen zwei Punkten haben wir die Welt auf unserer Seite. Und die USA können diese Politik der Israelis in diesen zwei Punkten nicht weiterhin verteidigen. Die Welt wird das nicht mehr unterstützen. Natürlich, die USA ist eine wichtige Macht und eine Weltmacht Nr. 1, aber sie hat nicht mehr das Sagen über den Rest der Welt, wie es vielleicht nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war.
Wie stellt sich das denn aber für die Palästinenser dar, dass, wenn in der Weltgemeinschaft das Völkerrecht verletzt wird, zum Beispiel Russlands Annexion von der Krim, die Weltgemeinschaft ganz klar reagiert, sehr scharf, auch mit Sanktionen – während man gleichzeitig feststellt, und auch zugibt, dass Israel hier ja auch Völkerrecht verletzt, und das schon seit 50 Jahren, aber nie irgendwo auch nur der Gedanke einer Sanktion auftaucht?
Das Unglück für den nahen Osten ist, dass wir ein Problem mit den Israelis haben, das heißt wir haben ein Problem mit den Juden. Und die Juden wurden in Europa verfolgt. Nicht von uns, sondern von Europa. Und kein Land in Europa, das damit zu tun gehabt hat, wie zum Beispiel Deutschland, ist bereit, eine Konfrontation mit den Israelis einzugehen, egal um welches Problem es sich handelt. Die Israelis und die zionistische Bewegung benutzen das Problem der Verfolgung der Juden und dass sie vergast wurden, dass irgendwann mal in der Geschichte Probleme in Russland stattgefunden haben und sie in Spanien auch verfolgt wurden. Dieses Problem der Juden wird von den Israelis instrumentalisiert, um jeden, der die israelische Politik kritisiert, als Antisemiten hinzustellen. Und deswegen ist die Reaktion bei den Deutschen und bei den Europäern vorsichtig in dieser Frage. Aber das kann doch nicht ewig dauern.
Und umgekehrt? Wenn man in Hebron sieht, dass ein Palästinenser die Straße überqueren will und ein israelischer Soldat sagt immer wieder, er dürfe das nicht. Und der Palästinenser fragt: Warum darf ich hier nicht auf meiner Straße gehen? Und der israelische Soldat antwortet: „Weil du kein Jude bist.“ – Er sagt nicht, weil du kein Israeli bist, sondern er sagt, weil du kein Jude bist. – Erinnert das nicht ein bisschen an das, was man in Deutschland 1933 erlebte: ein Jude durfte nicht über die Straße gehen, weil er „kein Arier“ war. Ist das für Palästinenser ähnlich „antisemitisch“, wenn man ihnen sagt, dass sie auf ihrer Straße nicht sein dürfen, weil sie keine Juden sind?
Nein, es ist nicht antisemitisch. Das ist klar ein Missbrauch der Religion. Es gibt auch bei uns Leute, die sagen, ein Jude darf nicht hierbleiben. Aber das ist nicht maßgebend. Es handelt sich um Einzelfälle, aber nicht um eine Gruppe, die so argumentiert.
Die israelische Politik hat zur Besetzung des Landes geführt und Israel so weit gebracht, ein Staat der Juden zu werden, nicht ein demokratischer Staat für alle Bewohner, die darin leben. Und deswegen haben wir diese Konfrontation mit Israel. Und die europäischen Länder haben das Problem, dass sie Israel geschaffen, dass sie die Entstehung Israels unterstützt haben.
Deswegen ist das für mich nicht eine Frage von Antisemitismus oder Judentum oder Islam. Nein, es gibt auch Muslime, die heute den Islam benutzen, um andere Muslime umzubringen, wie Daesh zum Beispiel. Und das, was im Irak, was in Syrien geschieht. Das sind Muslime und islamische Bewegungen, die die Unterstützung bekommen von Israel und von den USA. Und sie bringen sich gegenseitig um. Das ist nicht ein Problem, dass der Islam falsch ist. Nein, der Islam wird auch missbraucht von bestimmten politischen Gruppen bei uns. Und das Judentum wird auch missbraucht für ein Ziel der zionistischen Bewegung. Jabotinsky, der Vater der Idee Großisraels, ist der Freund des Vaters von Netanyahu. Netanyahu ist in der Richtung so erzogen, würde ich sagen.
Und die Antwort der Welt?
Die Politik von Netanyahu, die Politik von der israelischen Regierung, zielt darauf ab, einen Palästinenserstaat zu bekämpfen, und Israel innerhalb der Grenzen Palästinas, je größer desto besser, zu schaffen. Deswegen ist der israelische Staat der einzige Staat auf dieser Welt, der seine Grenzen nicht festgelegt hat. Keine Grenzen haben sie festgelegt! Und die Teilung der palästinensischen Gebiete in A, B, C erfolgte mit Gewalt. Die Antwort der Welt auf diese offensichtliche Besetzung der palästinensischen Gebiete ist noch nicht soweit, dass wir sagen können, man ist bereit, auch mit Gewalt, Israel zu zwingen, sich zurückzuziehen.
Aber ich bin auch auf der anderen Seite froh, dass wir nicht aufgegeben haben, dass wir auch eine Infrastruktur innerhalb der PLO geschaffen haben, als Vorbereitung für einen Palästinenserstaat, der demokratisch ist. Wir wählen unsere Führung, innerhalb der PLO wird der Nationalrat gewählt, das Exekutivkomitee wird gewählt, innerhalb der Fatah wird das Zentralkomitee gewählt, der Revolutionsrat wird gewählt – also, das heißt, unsere Institutionen, die sich nach 1948 entwickelt haben, haben eine demokratischen Basis. Und dass wir die palästinensische Identität wieder hergestellt haben nach 1948, das ist nicht nur eine Kunst, es ist ein Wunder. Das ist eben, was die Israelis immer unterschätzen, und versuchen, zu ignorieren.
Es gab im Januar eine Umfrage, die gemeinschaftlich gemacht wurde von der Universität von Tel Aviv und vom Palestinian Center for Policy and Survey Research. Es ging um die Frage, wie wird die Zwei-Staaten-Lösung angenommen von Israelis und von Palästinensern. Sowohl auf israelischer als auch auf palästinensischer Seite waren es gerade einmal 46%, die meinten, die Zwei-Staaten-Lösung wäre die Lösung, weil die meisten glaubten, das ist nicht durchführbar. Dann wurden diverse Möglichkeiten genannt, was man ändern könnte, und geschaut, ob sich die Werte verbessern. Bei den Israelis waren 44%, die gegen die Zwei-Staaten-Lösung waren, daraufhin bereit, sich für die Zwei-Staaten-Lösung auszusprechen, unter der Voraussetzung, dass die Sicherheitskooperation zwischen Palästina und Israel, auch in Bezug auf die Geheimdienste zur Verhinderung von Terrorakten, fortgesetzt würde. Dann würde sich die Zahl der zustimmenden Israelis auf fast 60% erhöhen. – Es ist ja aber gegenüber der Palästinensischen Autonomiebehörde ein häufig geäußerter Vorwurf von Palästinensern, man würde dort mit dem Gegner kollaborieren. Welche Chancen sehen Sie hier?
Also erstmal, wir machen unsere Politik nicht nach Umfragen in Israel oder Umfragen in der Region. Unsere Politik ist klar. Wir haben eine Konfrontation, die jetzt fast einhundert Jahre alt ist, wenn wir von der ersten zionistische Konferenz ausgehen, die 1897 in Basel stattgefunden hat. Und die Balfour-Deklaration ist auch so lange her. Israel entstand in einer Zeit, als die arabische Welt zu träge war. Die arabische Welt, die heute existiert, ist durch die Engländer und Franzosen mit der Sykes-Picot-Teilung entstanden. Die Entstehung Israels kam durch diese Teilung der arabischen Welt zustande, so dass wir Palästinenser im Grunde genommen alleine gegenüber Israel dastanden. Aber das kann auch nicht von Dauer sein, kann nicht mehr als hundert Jahre so sein.
Die Israelis mit ihren Kapazitäten und Fähigkeiten können, egal wie stark sie in der Technik sind, nicht so viel produzieren wie der Rest in der Umgebung. Und obwohl sie Panzer und Flugzeuge und U-Boote und so weiter haben, sind sie immer angewiesen auf die Unterstützung der USA. Sie müssen immer Geld bekommen am Ende des Jahres. Und zwar Geld als Geschenk. Das wird nicht zurückbezahlt.
Die Deutschen liefern U-Boote, die besten der Welt, für Israel. Und egal wo man versucht zu recherchieren, stellt man fest, dass Israel nicht mal vielleicht ein Fünftel vom ursprünglichen Preis bezahlt. Das heißt, Israel nutzt auch die Leiden der Juden, die Verfolgung der Juden, um hier und dort Geld und Waffen zu bekommen. Das wird nicht ewig dauern. Und man kann zum Schluss nicht die Zukunft der gesamten Region abhängig machen von der Zukunft Israels.
Nun sagt aber Netanyahu immer und immer wieder, es werde keine Zwei-Staaten-Lösung geben, es werde keinen palästinensischen Staat geben, „vom Jordan bis zum Mittelmeer wird alles unter unserer Sicherheitskontrolle stehen“. Wenn man das jetzt vor diesem Hintergrund sieht, dass die israelisch-palästinensische Sicherheitskooperation ein wichtiger Faktor wäre, um bei den Israelis die Zustimmung zur Zwei-Staaten-Lösung zu erhöhen, halten Sie das für realistisch, dass selbst dann noch eine solche Kooperation stattfindet?
Ich sage es nochmal, die Kooperation für die Sicherheit oder irgendein Punkt geht nicht nach dem Willen und Wunsch Israels. Wir haben mehrere Probleme mit den Israelis. Das Problem der Flüchtlinge, Jerusalem usw. Sicherheit ist auch ein Punkt, aber nicht der Punkt an erster Stelle. Wir werden, wenn wir einen Palästinenserstaat haben, mit den Israelis von Staat zu Staat verhandeln, zum Beispiel über Entschädigung der Menschen, die seit 1948 vertrieben sind. Wir müssen auch darüber reden. Auch wenn die arabische Welt hier und dort nicht in der Lage ist, uns zu unterstützen, werden wir uns weiterhin bemühen, die arabische Welt in die richtige Richtung zu ziehen. Und die richtige Richtung ist eben, die Arroganz Israels und diese Überheblichkeit Israels und die Ausweitung der Grenze und der Macht zu beenden. Das wird von der arabischen Welt nicht mehr toleriert.
Die Israelis machen eine Politik, die uns zwingt, gegen diese Politik zu kämpfen. Und das tun wir. Früher war der bewaffnete Kampf der einzige Weg für uns, heute sehen wir, dass man eine gewisse Revidierung machen muss. Wir haben durch den bewaffneten Kampf die Anerkennung in der arabischen Liga bekommen, und wir haben jetzt die Unterstützung von der Welt, auch die Anerkennung mehr und mehr in der UNO und dem Weltsicherheitsrat.
Und wir werden weiterhin kämpfen mit Mitteln, welche die Unterstützung auf internationaler Ebene bekommen. Heute ist es eigentlich zu bewundern, dass Präsident Abbas in der Lage ist, den Amerikanern Nein zu sagen und weiterhin seine Politik zu machen und überall in der Welt herumreist und Unterstützung bekommt. Nur, es ist nicht ausreichend, wir müssen weiterhin dafür kämpfen. Aber mit Mitteln, dass wir nicht als Aggressor gelten. Und wir müssen sehen, dass Israel uns nicht in eine Ecke drängt, in der uns nur der militärische Weg gegenüber Israel bleibt. Wir wären die Verlierer. Denn sie haben Waffen, sie haben ihre Armee, sie können alles zerstören. Sie haben alles, was wir aufgebaut haben in den letzten 20 Jahren, zerstört. Die können das. Aber sie haben die Menschen nicht zerstört.
Gilt das auch für Gaza nach dem verheerenden Krieg 2014?
Ich hab diesen Krieg erlebt in Gaza, ich hab das gesehen. Ich sage, was ich erlebt habe, gibt mir die Kraft, ich weiß nicht wie alt ich werde, aber das gibt mir die Kraft noch hundert Jahre weiter zu machen, wenn ich das schaffe. Und das gilt auch für die Palästinenser.
Ich habe Menschen vor ihren zerstörten Häusern gesehen. Ich habe Kinder gesehen, die die zerfetzten Körper ihrer Mütter aufgesammelt und in eine Decke gelegt haben. Und dann haben sie fünf Mütter in einem großen Karton zusammen beerdigt, weil niemand die Teile mehr zuordnen konnte. Die eigenen Kinder haben das getan. Und ich habe mit den Kindern danach gesprochen und mit ihrem Umfeld. Die waren so fest davon überzeugt, dass sie nicht aufgeben werden, sie nicht kapitulieren wollen, egal was die Israelis machen.
Ich habe Albträume nach diesem Krieg gehabt. Aber trotzdem habe ich Gewissheit und Sicherheit bekommen, als ich die Reaktionen der Palästinenser gesehen habe auf diese Sache. Die Israelis, wenn sie diese Politik fortsetzen, werden die Zukunft Israels verspielen. Israel wird nicht mehr als Supermacht weiterhin so aggressiv und expandierend leben können. Das ist gegen die Naturgesetze.
Herr Frangi, in der vorhin genannten Studie gab es auch auf der Seite der Palästinenser die Frage, wann es eine größere Bereitschaft gäbe, sich für die Zwei-Staaten-Lösung zu engagieren. Und da hieß es, wenn Israel die Nakba akzeptierte und Wiedergutmachung zahlte, das alleine schon würde dazu führen, dass bei Palästinensern die Zustimmung für die Zwei-Staaten-Lösung auf 62% ansteigt. Halten Sie das denn für realistisch, dass Israel das jemals tun wird?
Ich meine, wenn man jetzt alles abhängig macht von Israel und was die Israelis wollen oder nicht, dann gehen wir einen falschen Weg. Und wir werden nie etwas erreichen können. Ich sage, die Palästinenser kämpfen für die Zwei-Staaten-Lösung. Wir kämpfen für die Beendigung der Besetzung unseres Landes. Wir verlangen Klarheit von den Israelis und der Welt, dass sie ihre Grenzen festlegen müssen. Und dass sie uns nicht mehr als den Besetzten Dinge vorschreiben und diese de facto Politik weiterhin durchsetzen und uns zwingen, uns damit abzufinden. Wir werden weiterhin darauf bestehen, dass wir eine Perspektive in der Zukunft haben, wir werden nicht aufgeben und daran arbeiten, dass die Differenzen, die in unserer Gesellschaft existieren, zwischen uns und Hamas, dass diese Konfrontation, die stattgefunden hat, sich nicht wiederholt. Wir machen uns nicht abhängig von einem Netanyahu. Unsere Wurzeln sind so viel tiefer in Palästina verankert, als die von Netanyahu und seinem Vater und all den Juden, die jetzt in Israel leben.
Wie sieht es mit der arabischen Solidarität aus? Ist es eine Wende, dass Saudi-Arabien sich zum ersten Mal auf Israel zubewegt, sogar Interviews gegeben hat, auch Besuche stattfanden, was es alles vorher nie gab, vor dem Hintergrund, dass man nun Iran als die gemeinsame große Gefahr ansieht? Fällt Ihnen da Saudi-Arabien in den Rücken?
Die Saudis haben einen Krieg und eine Konfrontation mit Iran. Und sie haben Angst vor dem Iran. Iran unterstützt Kräfte zum Beispiel an der Grenze zu Saudi-Arabien, im Yemen oder in Somalia. Iran versucht als lokale Macht in dieser Region, sich auszudehnen. Und im Rahmen der Konfrontation, wenn sie da was machen, werden sie zum Beispiel die Schiiten in Saudi-Arabien unterstützen, und dann ist das ein Problem für Saudi-Arabien. Die Saudis machen Präventivpolitik gegenüber dem Iran und dessen Einfluss in der Region.
Aber ist das, wenn das zu einer Kooperation der Saudis mit Israel führt, nicht eine ganz neue Dimension?
Das ist klar. Aber bis jetzt hat man nur darüber gesprochen, aber es gibt keine Einheiten der Saudis, die sich in Israel ausbilden lassen, oder israelische Einheiten, die in Mekka und Medina herumlaufen. Das ist nicht so einfach. Es ist nicht so einfach, weil es gegen die Überzeugung der Menschen ist, die dort leben. Deswegen glaube ich, man darf keine Angst davor haben. Die Mehrheit des Volkes in Saudi-Arabien und viele auch in der Regierung der Saudis, egal was einige Leute sagen, werden ihre Position nicht ändern.
Die Saudis sagen und betonen, dass sie die Politik von Präsident Abbas unterstützen, dass die Zwei-Staaten-Lösung die einzige Möglichkeit ist. Und die Araber haben vor zwei Jahren einen Beschluss auf ihrem Gipfel gefällt. Wenn die Israelis einen Palästinenserstaat akzeptieren, dann werden alle Araber und alle islamischen Länder Israel anerkennen. Das ist die Voraussetzung seitens dieser Länder. Das haben sie auch deutlich gesagt. Und das wird auch weiterhin so bleiben.
Eine letzte Frage: Für uns in Deutschland ist es ja wichtig, was Deutschland in diesem ganzen Konflikt für eine Rolle spielt. Sie haben 40 Jahre und mehr die bundesrepublikanische Wirklichkeit in diesem Zusammenhang begleitet, mit sehr enger Zusammenarbeit auch mit früheren Regierungen in der Bonner Republik. Wenn Sie jetzt persönlich die heutige Politik in Berlin zu diesem Komplex in Vergleich zu der Politik der Bonner Republik setzen, hat sich für Sie etwas zum Positiven geändert, oder gibt es Dinge, bei denen Sie sagen, da hätten Sie Wünsche an die Berliner Politik?
Es hat sich in die richtige Richtung bewegt. Früher hat man vom Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser und der Unterstützung dieses Selbstbestimmungsrechts gesprochen, heute spricht auch die Koalition zwischen SPD und CDU davon, dass die Zwei-Staaten-Lösung die einzige Möglichkeit ist. Und sie sind gegen den Schritt von Trump, weil er sehr einseitig gehandelt hat. Das ist ein positiver Schritt, würde ich sagen, seitens beider Parteien, CDU und SPD, in die richtige Richtung. Auch in der Frage der Siedler und Siedlungen – sie sind da eindeutig. Und sie verurteilen das. Und Deutschland und Frankreich und die Europäische Union haben eine Vertretung bei uns in Palästina, eine große, und sie beobachten und treffen Politiker von den Palästinensern. Wir spüren, dass die Deutschen und die deutsche Politik eine Zukunft in dieser Region in Form einer Bildung eines palästinensischen Staates im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung anstreben.
Könnte Berlin noch lauter sein?
Ich hoffe es. Ich hab die Hoffnung nie aufgegeben.
Also es würde nicht schaden?
Es würde nicht schaden. Im Gegenteil, das würde neue Impulse geben.
Herr Frangi, wir danken Ihnen für das Gespräch.
(Das Interview führte Jens M. Lucke)
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