(PN) 16.04.2018 – Das Oberste Gericht in Israel hat heute einstimmig die israelische Regierung verpflichtet, dem schwerverletzten 20jährigen Yousef Karnaz umgehend die Ausreise aus Gaza zur medizinischen Behandlung in Ramallah zu erlauben. Es seien keine Gründe ersichtlich, die dagegen sprächen, so das Gericht. Karnaz hatte letzte Woche ein Bein verloren (die PN berichteten darüber), weil Israel ihm elf Tage lang die Ausreise als Bestrafung für die Teilnahme an den Freitagsdemonstrationen verweigerte.

Der Oberste Gerichtshof Israels stellt sich mit seinem heutigen Beschluss gegen die Entscheidung des israelischen Verteidigungsministers Avigdor Liberman, der dem 20jährigen Palästinenser trotz der schweren Verletzungen die Ausreise verweigerte. Sowohl vor der drohenden Amputation des ersten Beines, als auch nach der dann tatsächlich nötigen Amputation am vergangenen Mittwoch, beharrte Liberman auf der Verweigerung, für die dringend erforderliche medizinische Behandlung in Ramallah eine Ausreisegenehmigung zu erteilen.
Gegenüber dem Obersten Gericht führte die israelische Regierung aus, zwar spräche der „angebliche medizinische Zustand“ für die Erteilung einer Genehmigung, aber Yousef Karnaz hätte die schweren Verletzungen erlitten, weil er an Demonstrationen teilgenommen habe, deshalb sei man nicht bereit, ihn ausreisen zu lassen. Damit machte Israel deutlich, dass man die drohende Amputation des Beines als legitime Bestrafungsaktion für die Teilnahme an einem Freitagsprotest im Gazastreifen ansehe. In der Folge verlor Karnaz am Mittwoch sein linkes Bein.
Die Menschenrechtsorganisationen Adalah und Al Mezan beantragten nach der Amputation des ersten Beines erneut beim Obersten Gericht, die israelische Regierung zu verpflichten, die dringend erforderliche Ausreisegenehmigung zu erteilen. Andernfalls drohe auch die Amputation des zweiten Beines.
Dabei wiesen die Anwälte auch darauf hin, dass Karnaz nicht so fürchterlich verletzt sei, weil er demonstriert hatte, sondern weil israelische Scharfschützen ihn ohne rechtfertigenden Grund beschossen hatten. Israel trage eine Verpflichtung, den jungen Mann zur dringend erforderlichen Behandlung ausreisen zu lassen, da derartig schwere Verletzungen, wie sie die von Israel illegal verwendete explodierende Munition verursache, in den Krankenhäusern in Gaza nicht behandelt werden könnten.
Avigdor Liberman ließ dazu vor Gericht erklären, da sich Israel „mit Gaza im Krieg“ befände, würde man grundsätzlich nur bei lebensbedrohlichen Verletzungen eine Ausreise genehmigen. Im übrigen behalte sich Israel das Recht vor, jede Reise eines Einwohners von Gaza zu verhindern, der in irgendeiner Weise mit der Hamas in Verbindung stehe. Einen Beweis dafür, dass der 20jährige Karnaz mit der Hamas in Verbindung steht, nannte er nicht. Bereits vor zehn Tagen hatte Liberman allerdings erklärt, in Gaza gäbe es „keine Unschuldigen“ In Gaza sei jeder schuldig und jeder ein bezahltes Mitglied der Hamas. Das Verteidigungsministerium musste später die Aussage abmildern und erklärte, mit „schuldig“ habe Liberman „naiv“ gemeint. Den völlig unbewiesenen Vorwurf, jeder Einwohner Gazas sei zahlendes Mitglied der Hamas, ließ man dagegen unkommentiert stehen.
Oberster Gerichtshof lehnt Israels Argumentation ab
Die drei Richter des Obersten Gerichtshofs schlossen sich dieser Argumentation heute nicht an. Zwar stehe der israelischen Regierung und dem Verteidigungsminister „ein weites Recht“ zu, unter Sicherheitsaspekten zu entscheiden, wer aus Gaza ausreisen dürfe und wer nicht. Gleichwohl habe Israel die Pflicht, die jeweils besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.
Die Tatsache, dass Karnaz kein zukünftiges Sicherheitsrisiko darstelle, bereits ein Bein verloren habe und die unmittelbare Gefahr der Amputation auch des zweiten Beines drohe, verpflichte Israel, die Ausreise zur Behandlung außerhalb Gazas zu genehmigen.
Der Oberste Gerichtshof nannten den Fall „extrem“, er sei nicht zwingend auf jeden weiteren Fall anwendbar. Gleichzeitig kritisierte das Gericht aber den israelischen Verteidigungsminister Liberman dafür, die besonderen Umstände dieses schweren Falls durch Generalisierung missachtet zu haben.

Im Ergebnis hat dieses Verhalten Israels Yousef Karnaz sein Bein gekostet und ihn damit als 20jährigen zu einem Leben als Schwerbehinderten verurteilt. In Ramallah müssen Ärzte im Istishari Arab Hospital nun versuchen, zu retten was noch zu retten ist. Das zweite Bein hätte bereits vor 16 Tagen behandelt werden müssen. Ob Karnaz auch dieses noch verliert, ist derzeit nicht abzuschätzen.