(PN) 29.04.2018 – Ein 15jähriger palästinensischer Teenager, der am Freitag während des Protestes „Großer Rückkehrmarsch“ von israelischen Scharfschützen in den Kopf geschossen wurde, ist am Samstag an den Folgen der Verletzungen gestorben. Das teilte das Palästinensische Gesundheitsministerium mit. Nur eine Woche, nachdem der ebenfalls 15jährige Mohamed Ayoub erschossen wurde, hat Israel damit den vierten Jugendlichen seit Beginn der Proteste getötet. Insgesamt stieg die Zahl der getöteten Palästinenser auf 44.

Der 15jährige Azzam Halal Owaida nahm am Freitag am großen Protestmarsch am Grenzzaun nahe Kahazaa, östlich von Khan Younis im Süden des Gazastreifens teil. Israelische Scharfschützen, die auf der anderen Seite des Zauns hinter Erdhügeln positioniert waren, schossen ihm in den Kopf, obwohl der unbewaffnete Junge keine Gefahr für sie darstellte. Der schwer verwundete Teenager wurde sofort in das European Gaza Hospital in Khan Younis gebracht, dort erlag er am Samstag seinen Verletzungen.
Erst vor einer Woche hatte sich die Welt empört gezeigt über die Erschießung des 15jährigen Mohamed Ayoub. Auf einem Video war festgehalten, wie der unbewaffnete Junge von israelischen Scharfschützen innerhalb des Gazastreifens mit einem Kopfschuss niedergestreckt wurde.

Der UN Sonderbeauftragte für den Friedensprozess im Mittleren Osten, Nickolay Mladenov, bezeichnete es nach dem Tod des Jungen als „ungeheuerlich, auf Kinder zu schießen“. Kinder müssten „vor Gewalt geschützt, nicht ihr ausgesetzt und nicht getötet werden“. Er verlangte eine Untersuchung des „tragischen Vorfalls“. Auch die EU verlangte eine Untersuchung und forderte die israelische Armee auf, „gegen unbewaffnete Demonstranten nicht weiter tödliche Gewalt einzusetzen“. Frankreichs Präsident Macron sprach in einer Stellungnahme von einem „wöchentlichen Massaker“, zu dem die Welt schweige. „Wir erinnern [Israel] an seine Pflicht, Zivilisten zu schützen, vor allem Minderjährige“, erklärte der Präsident.
Doch all die Appelle verhallten ungehört. Am Freitag schossen israelische Soldaten erneut auf unbewaffnete palästinensische Demonstranten im Gazastreifen, verletzten 884, 174 davon mit scharfer Munition, und töteten vier Palästinenser, den 29jährigen Abdel-Salam Baker, den 21jährigen Mohammad al-Maqeed, den 15jährigen Azzam Halal Owaida und den 22jährigen Khalil Atallah.
UN Menschenrechtsbeauftragter fordert Israel zum Einhalten auf
Noch am Freitagmorgen hatte der UN Menschenrechtsbeauftragte, Zeid Ra’ad Al Hussein, Israel aufgerufen, Sorge dafür zu tragen, dass die Armee nicht erneut mit exzessiver Gewalt gegen unbewaffnete Demonstranten vorgeht. „Jede Woche werden wir Zeuge von tödlicher Gewalt gegen unbewaffnete Demonstranten. Die Warnungen der Vereinten Nationen und anderer blieben augenscheinlich ohne Resultat, denn an der Vorgehensweise der Sicherheitskräfte hat sich von Woche zu Woche nichts geändert.“ Der UN Menschenrechtsbeauftragte verwies darauf, dass nach internationalen Gesetzen Palästinenser das Recht zur friedlichen Versammlung und Meinungsäußerung hätten. Es sei schwer zu erkennen, wie das Verbrennen von Reifen, Steinewerfen oder sogar das Werfen von Molotowcocktails aus einer großen Entfernung in Richtung der hochgradig geschützten Sicherheitskräfte in ihrer Verteidigungsposition eine Gefahr darstellen könnte, die den Einsatz von tödlicher Gewalt rechtfertigte.
„Der Verlust an Leben ist bedauerlich, und die unfassbare Zahl an Verletzungen durch scharfe Munition bestätigt nur, dass exzessive Gewalt gegen die Demonstranten angewendet wurde – nicht einmal, nicht zweimal, sondern wiederholt“, so Zeid. Exzessive Gewalt gegen Demonstranten sei zu verurteilen, aber vor allem Kinder genössen einen besonderen Schutz nach internationalem Recht.
„Bilder eines Kindes, das erschossen wird, während es vor israelischen Sicherheitskräften wegläuft, sind absolut schockierend“, sagte der UN Menschenrechtsbeauftragte in Bezug auf den 15jährigen Mohamed Ayoub, der durch einen Schuss in den Kopf am 20. April getötet worden war.
„Ich mache mir große Sorgen, dass am Ende des Tages – und nächsten Freitag und übernächsten Freitag – weitere unbewaffnete Palästinenser, die heute morgen noch lebten, getötet worden sind, nur weil sie von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machten, sich dem Grenzzaun näherten oder auf sonstige Weise die Aufmerksamkeit der Soldaten auf der anderen Seite erregten.“
Zeid sollte Recht behalten. Am Ende des Freitags waren weitere vier Palästinenser getötet, darunter erneut auch ein 15jähriges Kind.
Über 6.400 Palästinenser verletzt
Nach Angaben des Büros der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) waren bis zum letzten Freitagsprotest bereits 40 getötete Palästinenser zu beklagen. 5.511 palästinensische Demonstranten waren verletzt worden, darunter 454 Kinder. 2.596 Verletzte mussten in Krankenhäusern behandelt werden, davon waren 1.499 durch scharfe Munition verletzt. Oftmals setzte dabei die israelische Armee international geächtete explodierende Munition ein, die zu völliger Zertrümmerung von Knochen und umfangreichen Gewebezerstörung führen. In der Folge mussten inzwischen 18 Amputationen, vor allem der Beine, vorgenommen werden. Das jüngste Opfer, das auf diese Weise ein Bein verlor, war ein 12jähriger Junge, dem israelische Soldaten mit explodierender Munition den linken Unterschenkel zertrümmert hatten.
Nach dem Protest am letzten Freitag, haben sich die Zahlen nochmals signifikant erhöht:
Stand 29. April 2018:
44 Tote
6.400 Verletzte
davon
…530 Kinder
…3.897 Verletzte im Krankenhaus
…1.917 durch scharfe Munition verletzt
Verbotenes Gas im Einsatz?
Das Palästinensische Gesundheitsministerium erklärte am Freitagabend, dass die israelische Armee gegen unbewaffnete Palästinenser beim al-Awdeh Flüchtlingscamp östlich von al-Buriej in Zentralgaza ein Gas einsetzt habe, das nicht normales Tränengas sei. Das Ministerium sprach davon, dass das verwendete Gas ungewöhnlich starke Atemnot, Krämpfe und extremes Übergeben bei Dutzenden von Demonstranten ausgelöst habe. Auf einem Video, das auf Twitter veröffentlich wurde, kann man die Folgen dieses Gaseinsatzes, vor allem die erheblichen Krämpfe der Verletzten, sehen. Viele dieser Patienten, so das Ministerium, hätten wegen der schweren Folgen in Krankenhäuser eingeliefert werden müssen.
Amnesty International fordert Waffenembargo gegen Israel
Die internationale Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat nach den erneuten Erschießungen von unbewaffneten palästinensischen Demonstranten die Welt zu einem umfassenden Waffenembargo gegen Israel aufgefordert. „Vier Wochen lang hat die Welt mit Entsetzen zugesehen, wie israelische Scharfschützen und andere Soldaten in voller Schutzmontur und hinter dem Zaun palästinensische Demonstranten mit scharfer Munition und Tränengas angegriffen haben. Trotz internationaler Verurteilung hat die israelische Armee ihren illegalen Befehl, auf unbewaffnete Demonstranten zu schießen, nicht revidiert“, so Magdalena Mughrabi, Stellvertretende Direktorin für die Region Mittlerer Osten und Nordafrika.
„Die Zeit für symbolische Verurteilungserklärungen ist vorbei. Die internationale Gemeinschaft muss jetzt konkret handeln und die Lieferung von Waffen und militärischem Gerät an Israel stoppen. Unterlässt man dies, wird das schwere Menschenrechtsverletzungen von Tausenden von Männern, Frauen und Kindern nach sich ziehen, die unter den Folgen der brutalen Blockade Gazas durch Israel leiden.“
Amnesty International verwies darauf, dass die USA der größte Lieferant von militärischem Gerät und Technologie an Israel sind und sich verpflichtet haben, in den nächsten zehn Jahren Militärhilfe in Höhe von 38 Milliarden US-Dollar zu gewähren. Aber auch EU-Länder wie Frankreich, Deutschland, England und Italien hätten große Lieferungen militärischer Ausrüstung an Israel genehmigt.