Ein Leser übermittelte heute den Antrag aller Berliner Fraktionen an das Berliner Abgeordnetenhaus, Antisemitismus auf das Schärfste zu verurteilen, und fragte die PN Redaktion:
Was sagen Sie dazu?
Im Antragstext heißt es u.a.:
Das Abgeordnetenhaus wolle beschließen:
Berlin verurteilt jede Form des Antisemitismus aufs Schärfste. Dieses Bekenntnis schließt ausdrücklich den sekundären und israelbezogenen Antisemitismus mit ein.
Der Kampf gegen den Antisemitismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Berlin steht solidarisch zu Israel und bekennt sich zu Israels Existenz- und Selbstverteidigungsrecht.
Da der Vorwurf, kritische Berichterstattung zu Israel sei antisemitisch, immer wieder im Raum schwebt, hier die heutige Stellungnahme der PN Redaktion:
Guten Tag,
da wir aus Palästina berichten, kommentieren wir eigentlich Aktionen in Deutschland in Sachen Rassismusbekämpfung nicht. Das ist nicht das Thema der Palästina Nachrichten.
Wenn Sie aber der Ansicht wären, Kritik an dem völkerrechtswidrigen Verhalten Israels sei Antisemitismus, dann teilen wir Ihre Ansicht als Juristen und Journalisten nicht.
Das Völkerrecht ist zu respektieren, das gilt für jedes Land der Welt und damit auch für Israel. Israel verletzt vorsätzlich seit über 50 Jahren Völkerrecht, und das ist nicht hinnehmbar. Israel verletzt auch die Genfer Konvention, die Israel verpflichtet, als militärische Besatzungsmacht die Zivilbevölkerung zu schützen. Stattdessen erschießt Israel in den besetzten und belagerten Gebieten (Westbank, Gaza, Ost-Jerusalem) fortlaufend Zivilisten, darunter viele Kinder. Auch das ist absolut nicht hinnehmbar, da es sich um Kriegsverbrechen handelt. Für solche gibt es keine Ausnahmegenehmigung, auch nicht für Israel, das vorgibt, als Demokratie zur zivilisierten Weltgemeinschaft zu gehören. Völkerrechtsverstöße und Kriegsverbrechen sind Rechtsbrüche, die zu verurteilen und rechtlich zu ahnden – und vor allem seitens Israel unverzüglich zu beenden sind.
Im übrigen lehnen wir jede Form von Antisemitismus ab, lehnen aber auch ab, mit dem konstruierten Vorwurf des Antisemitismus legitime Kritik an Menschenrechtsverbrechen, z.B. durch die israelische Armee, unterdrücken zu wollen. Das ist nicht akzeptabel. Israel muss seine Menschenrechtsverletzungen einstellen, dann muss es auch keine diesbezügliche Kritik fürchten. Nur so kann es funktionieren.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass selbst nach Meinung israelischer Sicherheitsexperten das Existenzrecht Israels nicht auf dem Spiel steht. Die Existenz Israels ist nicht zuletzt durch die massive Aufrüstung mit militärischer Hochtechnologie gesichert, und das Argument taugt auch nach Ansicht von israelischen Fachleuten nicht dazu, berechtigte Kritik an Israels Rechtsbrüchen zu unterdrücken.
Eine persönliche Anmerkung sei abschließend hinzugefügt:
Persönlich glaube ich nicht, dass es erforderlich ist, dass jedes Kommunalparlament in Deutschland einen Beschluss zu Antisemitismus verabschiedet. Antisemitismus verbietet sich, und unser Grundgesetz und Strafrecht sind ausreichend aufgestellt, um mit derartigen Verstößen umzugehen. Man kriegt allerdings im Rest der Republik gelegentlich das Gefühl, dass in Berlin scheinbar (sic) andere Verhältnisse herrschen. Zumindest für Bremen und Hamburg kann ich keine Anzeichen von aufflammendem Antisemitismus erkennen. Man sollte sich in Berlin vielleicht davor hüten, die ggf. dort existierende spezielle Lage als für die ganze Republik repräsentativ anzusehen.
Mit freundlichen Grüßen
Jens M. Lucke
Chefredakteur
20.06.2018
Ergänzend sei angefügt, dass damit nicht behauptet werden soll, es käme in Deutschland nicht zu antisemitischen Vorfällen. Mit diesen muss aber genauso besonnen rechtstaatlich umgegangen werden, wie mit allen Formen von Rassismus. Einen Unterschied in der Verabscheuungswürdigkeit von Rassismus gibt es nicht. Rassismus ist immer auf das Schärfste zu verurteilen.
Lieber Herr Lucke, Danke für diese klare Stellungnahme. Der Koordinationskreis Palästina/Israel (KoPI) hat gerade einen Brief übersetzt, den jüdisch-britische Prominente an den Guardian geschrieben haben. Er soll auf der KoPI-Homepage erscheinen. Hier der Originaltext:
https://www.theguardian.com/news/2018/jun/15/we-must-define-antisemitism-to-fight-it-effectively
Grüße Claus Walischewski (KoPI und ICAHD)
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Eine sehr klare Stellungnahme von Menschen, deren Meinung man in der Sache ernst nehmen sollte. Besten Dank für den Hinweis!
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Die Araber sind auch simiten.warum wird Antisemitimus nur auf juden betzogen, und nicht auf Araber, die jeden Tag von Israel diskriminiert aund getötet worden?
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In einem Bericht des zweiten Unabhängigen Expertenausschusses Antisemitismus heißt es:
„Antisemitismus ist ein Vorurteil, eine Haltung, die sich negativ und irrational auf die Gesamtheit der Juden bezieht. Seit Erfindung dieses Begriffs in Deutschland vor 128 Jahren diente er als Ersatz für den religiös konnotierten Begriff Judenfeindschaft. Neben dem klassischen Antisemitismus beschreibt der Expertenbericht einen „sekundären“ Antisemitismus. Seine Merkmale sind unter anderem die Forderung nach einem „Schlussstrich“ unter die NS-Aufarbeitung und die Leugnung der Schoah. Zusätzlich gibt es eine dritte Variante, den „israelbezogenen Antisemitismus“.“
Wer „Antisemitismus“ ruft, wo keiner ist, der schadet dem Kampf gegen Antisemitismus.
Quelle: Das böse Etikett
Wer über Antisemitismus redet, sollte genau sein – das gilt auch für die israelische Regierung.
Von Shimon Stein und Moshe Zimmermann
31. Mai 2017
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„Israel hat den Antisemitismus nie bekämpft, auch nie bekämpfen wollen, sondern vielmehr zum Argument erhoben, ja war nachgerade immer schon daran interessiert, dass es ihn gebe, um eben mit dem Angebot der historischen Alternative für die Juden, dem Zionismus, aufwarten zu können. Zu diesem Zweck ist auch das Schoah-Andenken von Anbeginn ideologisch instrumentalisiert und die „Sicherheitsfrage“ – ungeachtet ihrer realen Dimension – zum nationalen Fetisch erhoben worden.“ Moshe Zuckermann
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„Der Missbrauch von angeblichem Antisemitismus ist moralisch verabscheuungswürdig. Es waren Hunderte von Jahren nötig und Millionen von Opfer, um Antisemitismus – eine spezielle Form von Rassismus, die historisch zum Genozid führte – in ein Tabu zu wandeln. Menschen, die dieses Tabu missbrauchen, um Israels rassistische und genozidale Politik gegenüber den Palästinensern zu unterstützen, tun nichts anderes, als die Erinnerung an jene jüdischen Opfer zu schänden, ….“ Ran Ha Cohen
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Felicia Langer: „„Wir haben kein Recht, als Opfer von gestern Täter von heute zu sein und die Schuldgefühle der anderen, insbesondere der Deutschen, zu instrumentalisieren, um sie, was unsere Taten angeht, zum Schweigen zu bringen. Man muss klar sagen, dass die Instrumentalisierung des Holocaust zur Rechtfertigung unserer Taten gegen die Palästinenser unzulässig ist.“
Eine wunderbare, sehr mutige Frau und große Humanistin
ist heute von uns gegangen.
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Danke für das bemerkenswerte Zitat. Wir haben es veröffentlicht.
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